Hochrangige Delegation aus Guernsey zu Besuch in BiberachEinweihung der Gedenkstätte Lager Lindele – Absichtserklärung für Freundschaftsvertrag zwischen Guernsey und Biberach unterzeichnet

Anlässlich der Einweihung der neu geschaffenen Gedenkstätte Lager Lindele besuchte eine hochrangige Delegation von der Kanalinsel Guernsey Biberach: Staatsoberhaupt Bailiff Richard McMahon, Außenminister Jonathan Le Tocq (External Affairs Minister) und Deputy Sam Haskins, Vizepräsident des Ausschusses für Bildung, Sport und Kultur weilten über das Wochenende in Biberach. Vertreter der Stadt Biberach betreuten zusammen mit dem Freundeskreis Guernsey, der sich im Verein Städte Partner Biberach e.V. um die Beziehungen zur Kanalinsel Guernsey kümmert, die Gäste. Am Samstagvormittag wurden gemeinsam der Evangelische und der Katholischen Friedhof besucht, auf denen die sich die Gräber der im Lager Lindele verstobenen Deportierten aus Guernsey befinden. Dekan Matthias Krack und Diakon Roland Fritzenschaft sprachen Gebete und erteilten den Segen, Mitglieder des Freundeskreises mit ihrer Vorsitzenden Helga Reiser legten Blumen auf den Gräber nieder. Stefan Ott vom Freundeskreis berichtete Wissenswertes über diese beiden Friedhöfe wie auch über den sowjetischen Friedhof. Auf dem Katholischen Friedhof stellte Kulturdezernent Dr. Riedlbauer den Gästen Matthias Erzberger an dessen Grab vor. Am Nachmittag führte Siegfried Kopf-Jasiński, Leiter des Städtischen Hochbauamtes, die Gäste durch mehrere Biberacher Schulen. Zudem gab es mehrere Gelegenheiten für den Freundeskreis Guernsey und StäPa-Vorstandsmitgliedern, sich mit den Gästen über anstehende partnerschaftliche Begegnungen zu unterhalten.

Am Sonntag wurde die Gedenkstätte Lager Lindele offiziell eingeweiht. Der in Biberach Kommunal veröffentlichte Bericht wurde uns dankenswerterweise für eine Veröffentlichung von der BIKO-Redaktion überlassen.
Weitere Fotos finden Sie ganz unten nach dem BIKO-Bericht.

Mahnmal „Der Schrei“ für ehemaliges Lager Lindele offiziell eingeweiht
Eine Skulptur für das Erinnern  

Mehr als 5 Meter hoch, fast neun Meter breit und rund fünf Tonnen schwer: Die große Gedenkskulptur aus Stahl namens „Der Schrei“ von Künstler Robert Schad steht seit Kurzem vor dem ehemaligen Lager Lindele. Am Sonntag wurde dieser Ort, der bei einer bewegenden Feier in der Polizeihochschule offiziell eingeweiht – auf den Tag genau 78 Jahre nach der Befreiung des Lagers, in dem während des Zweiten Weltkriegs Meschen interniert waren und zum Teil gestorben sind.

Waren im Lager Lindele zu Beginn des Krieges zunächst Kriegsgefangene untergebracht, wurde es ab September 1942 zum Deportiertenlager für rund 1.000 Zivilsten. Von den besetzten britischen Kanalinseln wurden überwiegend ältere Männer sowie Frauen und Kinder aus Guernsey nach Biberach gebracht. Eines der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte, wie Oberbürgermeister Norbert Zeidler am Sonntag ausführte, der an diesem bedeutenden und denkwürdigen Tag auch eine Delegation aus Guernsey begrüßen durfte – darunter den obersten Staatsbeamten Bailiff Richard McMahon und die gewählten Debuties Jonathan Le Tocq und Sam Haskins.

Eine Vergegenwärtigung des Lagers Lindele gebe es in der Stadt auf unterschiedliche Weise, sagte Zeidler. „Die mit Sicherheit schönste und intensivste ist die der Freundschaft zwischen der Kanalinsel Guernsey und unserer Stadt.“ Aus der Erfahrung von Hass und Unmenschlichkeit sei die Erfahrung von Menschlichkeit, von gegenseitigem Vertrauen, sogar von Freundschaft gewachsen. Dies sei ein unfassbares Geschenk.

Freundschaftsvereinbarung beabsichtigt

Um diese Freundschaft zu festigen und zu vertiefen, unterzeichneten Zeidler und Jonathan Le Tocq, verantwortlich für Guernseys Außenbeziehungen, eine Absichtserklärung für eine Freundschaftsvereinbarung – ein offizielles Dokument, das die Freundschaft besiegeln soll. „Ein größeres Geschenk hätten Sie uns für den heutigen Tag nicht machen könne, liebe Freunde aus Guernsey“, erklärte Zeidler.

Bailiff McMahon, der oberste Staatsbeamte von Guernsey, sagte auf Deutsch, dass aus Widrigkeiten Freundschaft entstanden sei. „Die Skulptur erinnert an schwierige Zeiten, die endgültig der Vergangenheit angehören.“ Aus der Geschichte könne man lernen. Mit Blick in die Ukraine äußerte er die Hoffnung, dass gelinge, was Biberach und Guernsey gelungen sei und Friede und Freundschaft auch in Europa wieder hergestellt würden. Jeder habe eine eigene Interpretation der Skulptur. Für ihn repräsentierten die senkrechten Säulen Biberach und Guernsey, die waagrechten Linien die Arme als Verknüpfungspunkte, die sich aus der Vergangenheit ins Heute zueinander ausstreckten und Zeichen der Freundschaft seien. McMahon betonte, es sei ein Privileg, an diesem besonderen Tag in Biberach zu sein. „Wir sind sehr dankbar.“

Ein Grußwort der ehemaligen Deportieren aus Guernsey, deren hohes Alter die Reise nach Biberach nicht mehr zulässt, die aber bei einer eigenen Feier auf Guernsey der Befreiung des Lagers gedenken, hielt Helga Reiser vom Verein Städte Partner Biberach. Es sei wichtig, aus den Lektionen der Geschichte zu lernen und sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, wo immer sie passiere.  

Erinnern als Teil der Demokratie

Auf eine Erinnerungskultur als essenzieller Aspekt für eine starke Demokratie ging der SPD-Landtagsabgeordnete und Landtags-Vizepräsident Daniel Born in seiner Rede ein. Dass die Demokratie weiterlebe und stark bleibe, sei ständige Aufgabe und Herausforderung. „Und dazu gehört das Erinnern, so wie es hier im ehemaligen Gefangenenlager Lindele nun auch in einer beeindruckenden, berührenden und wegweisenden Skulptur zum Ausdruck kommen soll.“

Born dankte auch Thomas Fettback, der 1995 als damalige OB durch eine erste Einladung an ehemals Internierte aus Guernsey „die Hand zur Versöhnung ausgestreckt“ habe. Dass aus Feindschaft und Verzweiflung Freundschaft habe werden können, sei auch ein Geschenk, eine Chance und zugleich eine Aufgabe für die Jugend. „Gerade Freundschaft, die über Grenzen hinweg besteht, die Grenzen und Trennendes überwindet, bietet so viel Potenzial, eine gute Zukunft zu gestalten.“ Schließlich erlebe man durch den russischen Angriffskrieg gerade auf erschreckende Weise, wie wichtig es sei, sich für diesen Frieden einzusetzen und ihn nicht als selbstverständlich hinzunehmen.  

Silhouette eines schreienden Kopfes

Künstler Robert Schad erläuterte seine Gedanken zur Skulptur im Gespräch mit Kulturdezernent Dr. Jörg Riedlbauer. Diese bestehe aus zwei Komponenten: Der Silhouette eines schreienden, klagenden Kopfs im Hintergrund und einem Zaun oder Stacheldraht, der sich auflöse, aufbreche. „Die Skulptur soll den Betrachter auf eine geistige und innere Reise einladen“, so Schad. Die Arbeit des Betrachters sei „ganz wichtig“ beim Erleben von Kunst. Die Stahl-Skulptur sei in Portugal hergestellt, in mehreren Teilen nach Biberach gebracht und vor Ort zusammengeschweißt worden. „Sie ist jetzt so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ In Kürze werde noch ein Schild mit QR-Code angebracht, damit weitere Informationen über das Werk und seine Hintergründe aufrufbar seien.

OB Zeidler hatte eingangs betont, dass richtig verstandenes Gedenken immer auch Aktualisierung, Verheutigung und Vergegenwärtigung meine. „Wenn dieses Denkmal also dazu beiträgt, dass Menschen beim Vorbeigehen oder -fahren hier oben kurz innehalten und sich die Geschichte dieses Ortes, das Schicksal der Menschen, die hier leben mussten und teils den Tod fanden, vergegenwärtigen – und das mit ihrem Leben in Beziehung setzen – dann hat es seinen Sinn erfüllt.“

Für den würdigen musikalischen Rahmen der Feierstunde sorgte das Salonorchester der Bruno-Frey-Musikschule unter der Leitung von Andreas Winter, das Werke aus der Feder von Komponisten spielte, die während des Dritten Reichs als entartet verfemt wurden. „Die Moorsoldaten“, das 1933 von Rudi Goguel im Konzentrationslager Börgermoor komponiert wurde, „Viel Lärm um Nichts“ von Erich Wolfgang Korngold sowie „Seht ihr den Flieger dort“ aus der Kinderoper „Brundibar“, die Hans Krása im KZ Theresienstadt geschrieben hat.
(BIKO)


Über den Festakt in der Hochschule der Polizei, dem ehemaligen Lager Lindele, und der Einweihung der Gedenkskulptur vor der Hochschule der Polizei am Sonntag wurde zudem in verschiedenen anderen Medien berichtet, siehe u.s. Links.

Schwäbische Zeitung Biberach: https://www.schwaebische.de/regional/biberach/biberach/neue-skulptur-steht-fuer-gedenken-und-freundschaft-1561765
Südwest Rundfunk SWR: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/gedenkskulptur-zu-ehemaligem-biberacher-internierungslager-lindele-100.html
Guernsey Press: https://guernseypress.com/news/2023/04/24/twinning-agreement-with-town-of-biberach-moves-closer/

Fotos: Hans-Bernd Sick/StäPa