In drei Biberacher Kirchen wurde der Konzertzyklus mit großem Erfolg aufgeführt
Die Freunde aus Guernsey hatten eine wunderbare Idee über den Kanal geschickt: Die Aufführung des gesamten Zyklus von Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo bei Kerzenlicht, eingerahmt von Lesungen aus T.S.Eliots „Vier Quartetten“ und Gregorianischen Chorälen. Umgesetzt wurde diese Idee in drei gut einstündigen Konzerten in der Heilig-Geist-Kirche, in St. Martin und in der Evangelischen Spitalkirche, getragen vom Verein Städte Partner und dem Biberacher Kulturamt.
Ein Kerzenmeer in den Chorräumen der Kirchen – kunstvoll arrangiert auf dem Boden, auf dem Altar, auf dem Taufbecken, im Chorgestühl – sorgte für meditative Stimmung der jeweils etwa 150 Zuhörerinnen und Zuhörer und für eine fast mystische Atmosphäre. Den vokalen Part an den drei Abenden übernahmen, auf der Empore platziert, jeweils etwa zehn Männerstimmen aus den Reihen der St.-Martins-Chorknaben, einstudiert von ihrem Dirigenten Johannes Striegel. Joseph Edwards, Direktor des „Guernsey Choral Festivals“ und als Sänger schon zu Gast in den berühmten Konzertsälen von London, Paris und New York, war ihnen als Kantor und Leiter ein herausragendes Vorbild. Mit seinem warmen und frei klingenden Bariton, schmeichelndem Timbre und beispielhaft deutlicher Aussprache machte er die gregorianischen Gesänge zu einem berührenden Erlebnis. Die Jungs folgten auf hohem Niveau, wobei ihnen die Aufführung in St. Martin besonders überzeugend gelang.
Mit Anke Rast-Högerle, Johanna Schurer, Volker Angenbauer und Thomas Laengerer übernahmen erfahrene Mitglieder des Dramatischen Vereins die Rezitation der berühmten „Vier Quartette“ des englischen Dramatikers T.S.Eliot, vorgetragen in einer neuen Übersetzung des Lyrikers Norbert Hummelt, die die teils schwer zu entschlüsselnden Verse ein wenig zugänglicher macht. In den 1936 bis 1942 entstandenen Texten, so schreibt im Programmheft Alan Cross, „reflektiert Eliot seine persönliche Erfahrung, was es bedeutet, Mensch zu sein, ein sterbliches Wesen, das dem Lauf der Zeit unterworfen ist, aber dennoch danach strebt … zu verstehen, dass es mehr gibt, … ein Dasein jenseits des hier und jetzt der menschlichen Existenz.“ Der Vortrag war bei bester Textverständlichkeit ebenso frei wie zupackend und einfühlsam.
Die künstlerische Hauptlast der drei Abende lag auf den Schultern von David Le Page – sind doch Bachs sechs Sonaten und Partiten für Violine solo bis heute eine echte Herausforderung für jeden Geiger. David absolvierte die Yehudi Menuhin School und startete nach seiner Ausbildung in eine breitgefächerte Karriere als Geiger, Komponist, Produzent, Arrangeur und Manager. In Bachs barocker Welt ist er ebenso zuhause, wie in Folk, Jazz und Rock-Pop. Seit 2018 leitet er das in Stratford-Upon-Avon beheimatete „Orchestra of the Swan“ und ist mit verschiedenen von ihm gegründeten Ensembles am Start.
Der Anlass für die Entstehung der „Sei Solo“ war ein trauriger: Im Jahr 1720 kehrte Bach von einer zweimonatigen Konzertreise nach Köthen zurück. Dort erwartete ihn die furchtbare Nachricht, dass seine Frau Maria Barbara im Alter von 35 Jahren gestorben war, „todt und begraben“. Manche, etwa der Geiger Christian Tetzlaff oder die Musikwissenschaftlerin Helga Thoene, sehen in der Komposition der sechs Sonaten und Partiten eine Art Grabstein für Bachs Frau, könne man doch „Sei Solo“ übersetzen mit „Sechs Solostücke für Violine“ oder mit „Du bist allein“.
Viele Geigerinnen und Geiger versuchen in den letzten Jahren, sich den Werken mit Barockbogen und darmbesaiteten Barockviolinen zu nähern. David Le Page hat in seinem Interpretationsansatz keine „historisch informierten“ Ambitionen. Da musiziert ein hervorragender Geiger auf seiner „modern“ eingerichteten Vuillaume aus dem Jahr 1874 ganz „klassisch“ – technisch auf hohem Niveau, farbig gestaltet und mit großer Fantasie.
An jedem der drei Abende schulterte David je eine Sonate und eine Partita. In der Heilig-Geist-Kirche war er zu Beginn vielleicht noch nicht ganz frei, aber bereits in der E-Dur Partita ließ er im Preludio einen Goldregen an Tönen auf das Publikum niedergehen und überzeugte mit frischem Tempo, großer dynamischer Bandbreite und virtuosen Bariolage-Passagen. Am zweiten Abend erwies sich die Akustik von St. Martin in den vorderen Reihen als ideal für Bachs Musik und verband Klarheit mit unterstützendem Hall. Davids Spiel schien hier wie befreit. In der h-moll-Partita überzeugte er mit weichem und sensiblem Klang bei sparsamem und wohlüberlegtem Vibratoeinsatz, die Doubles fegten mit rasantem Tempo durch die Kirche. Die gefürchtet schwere C-Dur-Fuge gelang blitzsauber und souverän, mit supersicherem Akkordspiel und orchestral klingenden Orgelpunkten.
Beim Abschlussabend in der Spitalkirche beschenkte David Le Page das Publikum mit einer meisterhaft gespielten Ciaconna. Er gestaltete die Variationen des viertaktigen harmonischen Modells überlegen mit großer Farbigkeit. In eher zügigem Tempo hörte man anrührend zarte Passagen, etwa die ergreifende D-Dur- Variation, aber auch zupackende Virtuosität und mit herausragender Bogentechnik gezauberte Arpeggio-Stellen.
Mit stehendem Applaus bedankte sich das begeisterte Publikum für wunderbare Aufführungen.
Text: Günther Luderer
Veröffentlicht in der Schwäbischen Zeitung Biberach
Fotos: Hans-Bernd Sick